Rezensionen
 
  Ulrich Schlittenhardt
Leben aus Glauben
Eine Studienreise durch den Römerbrief

tredition: Hamburg, 2012
200 S.

 

Dieses Buch des freikirchlichen Pastors Ulrich Schlittenhardt ist aus der Gruppenarbeit mit Glaubensanfängern entstanden. Mit dem Römerbrief traten sie zum ersten Mal in die Welt der Bibel ein. Und für solche Menschen ist es auch in erster Linie geschrieben. Gut gelungen ist schon einmal die Gliederung mit ihren prägnanten Überschriften; das Inhaltsverzeichnis liest sich wie eine Minimalzusammenfassung des ganzen Buches. Auch Leser, denen der Brief noch ganz fremd ist, können daraus mit einem Blick ersehen und verstehen, worum es geht. Es war mutig, als initiale Katechese für Glaubensneulinge gerade den Römerbrief zu wählen. Schlittenhardts Begründung macht Sinn: Nicht nur enthält dieser Brief so dicht wie kein anderer Teil der Bibel ihre Kernbotschaft, nicht nur wird dort der Bezug des Neuen Testaments zum Alten besonders deutlich, sondern er fordert auch intellektuell heraus. Das will der Autor seinen Kursteilnehmern und Lesern zumuten, als Gegenstück zur weit verbreiteten allzu starken Praxisbezogenheit der allzu leicht eingängigen Weisungen, die doch nur an der Oberfläche bleiben. Die Wahrheit der Bibel und somit auch das Reden Gottes erschließt sich uns nur, wenn wir uns hineinlesen und die Zusammenhänge verstehen, statt uns orakelhaft herauszupicken, was uns gerade passt. Schlittenhardt ist von den ersten Seiten an bemüht, den roten Faden des paulinischen Evangeliums aufzuzeigen: Leben aus Glauben ist nicht die Aneignung dogmatischer Richtigkeiten und der mühsame Eigenversuch, sie im Leben umzusetzen, sondern es ist Leben in einer Vertrauensbeziehung. Dem entsprechend ist auch Sünde nicht in erster Linie moralische Verfehlung, sondern Misstrauen gegen Gott. Der Autor bringt das gut auf den Punkt. Um in die Vertrauensbeziehung zu Gott zu gelangen, müssen wir nichts Frommes leisten, sondern wir brauchen uns nur der Ungerechtigkeit bewusst zu werden, die alle Menschen, Fromme wie Unfromme, miteinander verbindet. Es gelingt Schlittenhardt gut, die Beschreibung des Unrechts, wie sie Paulus in den ersten beiden Kapiteln vornimmt, zu aktualisieren. Da findet sich der Leser leicht wieder. Unsere eigenen Bemühungen, vor Gott gerecht zu werden, sind, so bezeugt der Römerbrief unmissverständlich, zum Scheitern verurteilt. Glaube ist Perspektivenwechsel, zeigt Schlittenhardt: Wir setzen nicht mehr auf unsere Gerechtigkeit, sondern Gott überzeugt uns durch seine Liebe von seiner Liebe, die uns so annimmt, wie wir sind. Interessant finde ich den Gedanken, die Verzweiflung durch das „Gesetz der Sünde und des Todes“ in Rö 7 dem „eigenen Selbstanspruch“ zuzuschreiben (S.98). Das scheint mir für den Praxisbezug wichtig zu sein: Jeder kennt aus eigener Erfahrung diese verzweifelten Forderungen, „eigentlich“ unbedingt ein anderer, besserer Mensch sein zu sollen, die doch nicht zur Veränderung führen. In der Kognitiven Therapie und Seelsorge bezeichnen wir sie als selbstschädigende Mussforderungen. Lebensnah und hilfreich ist auch Schlittenhardts Auslegung der Kapitel 14 und 15, wo Paulus „schwaches“ und „starkes“ Christsein im Blick auf den Umgang mit Götzenopferfleisch thematisiert: Stärke ist dort, wo Freiheit ist, aber „Freiheit provoziert mehr Fragen als Antworten“ (S. 164). Vielen ist es darum bequemer, einem „Regelkatalog“ zu folgen, als in der Freiheit des Evangeliums selbst verantwortlich zu entscheiden. Auf komplexere theologische Fragen wie die nach der natürlichen Theologie, vor die der Leser im zweiten Kapitel des Briefs gestellt wird, oder die Frage, ob das menschliche Herz im Innersten gut oder böse ist, die sich uns in Kapitel 7 aufdrängen kann, die Schwierigkeiten der Prädestinationslehre, die Paulus in den Kapiteln 9 bis 11 entfaltet, wie auch die Grenze des Obrigkeitsgehorsams, nach der Kapitel 13 fragen lässt, geht Schlittenhardt auf seiner „Studienreise“ nicht ein. Das mag vernünftig sein, um den Rahmen nicht zu sprengen. Gleichwohl wirft der Brief diese Fragen auf und fordert den Glaubenden heraus, seine persönliche Antwor darauf zu finden. Insbesondere intellektuell aufgeschlossene Kursteilnehmer werden solche Fragen früher oder später stellen. Aber alles hat seine Zeit und seinen Ort. In der Auslegung von 12,1f, der Scharnierstelle zwischen Theorie und Ethik im Römerbrief, betont der Autor erfreulicherweise die Bedeutung des Leibes für die Heiligung. Er beugt dadurch der intellektualistischen Vereinseitigung der Lehre vor; Glaube geschieht nicht nur im Kopf, sondern er ist auch eine emotionale Erfahrungsangelegenheit, die den ganzen Leib erfassen und darum auch auf heilende Weise körperlich erlebt werden kann. Dass Schlittenhardt das etwas einseitig betont, auf Kosten des Kopfes sozusagen, ist wohl seinem charismatischen Heiligungsverständnis zuzurechnen.

01.06.2013, Hans-Arved Willberg              Seitenanfang


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     Datum der letzten Änderung: 23. Juli 2013